Auch wenn man es eigentlich garnicht möchte, schlechte Meinungen und Vorurteile beeinflussen doch ungemein. Besonders natürlich, wenn man keine Referenzen hat und sich unwissend der tatsächlichen Gegebenheiten jeden Tag auf neue Wege begibt. An einem kleinen Restaurant machten wir Rast, als wir mit einem Bus von Nong Khiaw Richtung Dien Bien Puh unterwegs waren. Ein älterer Herr, den es schon seit Jahren vom nördlichen Spanien immer wieder nach Laos verschlug, hatte, nachdem er seine Lobpreisung auf Laos gesungen hatte, kaum gute Worte für Vietnam übrig. Diebstahl, Betrug, unhöfliche Einheimische, alles viel zu touristisch. Von der Meinung eines Einzelnen der schlechte Erfahrungen gemacht hatte ließen wir uns in der Regel nicht verunsichern, nur in Internetforen hatte ich zuvor zusätzlich unzählige Chats mit ähnlichen Meinungen gefunden. In diesem Sinne war das Gift injiziert und mein Geist vergiftet noch bevor wir die Grenze überquert hatten.
Wir fuhren noch einige Stunden nachdem der Spanier den Bus in Muang Kuah wieder verließ. Der Grenzübergang wie immer ein routiniertes Prozedere, keine Bestechung oder Korruption, wie angekündigt. Spät am Abend kamen wir dann in Dien Bien Puh an und zugegeben bot uns die Stadt zunächst das erwartete Aufgebot. Chaotischer Verkehr, dreckige Straßen und misstrauische Blicke auf uns, da wir ja immernoch lieber laufen, als unser Geld für ein Taxi zu verwenden. Doch der erste Eindruck bekam schneller Löcher als dichter Nebel über den Bergen am frühen Morgen. Die zwei Kilometer bis zum Hotel verbrachten wir mit der Suchen nach einem geeigneten Bankautomaten, den wir nicht mit 3% Gebühren auf unsere Abhebung besänftigen mussten. Und sofort nahmen uns die Einheimischen, die an den Straßenrändern das Geschehen beobachteten, unsere Sorgen. Kinder und Erwachsene winkten immer wieder und riefen uns lächelnd ein „Hello!“ hinterher, gefolgt von wildem Gelächter, wenn wir zurückwinkten und lächelten. Immer wieder sorgten wir für Erstaunen und Belustigung unter den Einheimischen, wenn wir wie Esel mit unseren 20kg Rucksäcken beladen an ihnen vorbeitrotteten. Das Eis war gebrochen, die Sorgen vorerst unbegründet und unsere Herzen für Vietnam erwärmt.
Vietnam hingegen wollte seine Wärme noch nicht so ganz mit uns teilen. Das Wetter war nach Monaten der tropischen Hitze erstmal ein kleiner Dämpfer. Ein Tiefpunkt vorallem, weil die Temperaturen entgegen den heimischen winterlichen Graden tendierten. Tiefhängende Wolken und dichter Nebel nahmen uns oft die Sicht auf die Schönheit der Natur und mitunter waren unsere Unterkünfte so feucht, dass sich an unseren Taschen Schimmel bildete. Wir bereisten beinahe den ganzen Norden ohne vom Land selbst viel gesehen zu haben, lag die Welt doch immer von einem dichten Schleier verhüllt. Erst in Hue bekamen wir nach über zwei Wochen das erste Mal wieder Sonnenstrahlen zu Gesicht und zogen uns, fern von jeder Reiseschläue, beide einen ordentlichen Sonnenbrand zu. Zeiten wie diese lassen einen schnell erkennen, wie abhängig das ganze Gemüt vom Wetter und vom Licht ist, dass Depressionen mit den kalten und nassen Jahreszeiten kommen ist definitiv kein Mythos. Aber so wie uns das schlechte Wetter belastete, so schnell zogen uns die Sonnenstrahlen der nächsten Wochen wieder aus diesem Loch hervor. Schlechtes Wetter gehört eben zum Reisen dazu.
Das schlechte Wetter und sicherlich auch das rege Interesse der Vietnamesen brachten uns dafür aber vermehrt angeregte Gespräche mit den Leuten vor Ort. Wie unterschiedlich die zwischenmenschlichen Tendenzen in unseren Kulturen sich momentan entwickeln machte uns ein Hotelmanager in Cat Ba klar. Während bei uns der Trend immer stärker zum Alleinsein entwickelt, wie Alleine wohnen, reisen und alt werden, richten die Vietnamesen ihr ganzes Augenmerk auf ein geselliges Leben. Ganz begeistert erzählte uns der junge Mann von seinen vielfältigen Jobs, die ihn schon an die verschiedensten Orte in Vietnams Norden gebracht hatten. Sein Ziel war klar gesteckt: Er brauche mindestens hundert Millionen Dong um eine angemessene Hochzeit zu bezahlen, am besten noch mehr, weil ein Haus wolle er seiner Braut natürlich auch bereit stellen und dafür arbeite er gerne hart und viel. Nur die passende Frau, die habe er noch nicht gefunden, aber sein fröhliches Gemüt legte die Vermutung nahe, dass er kein Problem haben wird diese zu finden. Er sei ja noch jung, habe Zeit noch ein bisschen rumzukommen. Aber die Intention ist klar, ein enger Familienverband, wenn die Zeit gekommen ist. Viele Kinder. Die Eltern nah, am besten im selben Haus. War das vielleicht der Schlüssel zum Glück? Zum Schloss des Glücks hat vermutlich am Ende des Tages jeder seinen eigenen Schlüssel.